Perinatalsterblichkeit
in Weißrussland (Belarus)
Eine Trendanalyse ist aus den folgenden Gründen problematisch. Erstens gab es eine Änderung der Definition der Totgeburten innerhalb des Untersuchungszeitraum. Zweitens könnte auch der Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 einen zusätzlichen Einfluss auf den Verlauf der Daten gehabt haben. Um einen möglichen Strahleneffekt zu finden, ist es deshalb aussichtsreicher, das Verhältnis der Perinatalsterblichkeit im Studiengebiet (Gomel) zu der Sterblichkeit im Vergleichsgebiet (Rest von Belarus ohne die Hauptstadt Minsk) zu untersuchen.
Das
Verhältnis der Rate p1 im Studiengebiet zur Rate p0 im
Vergleichsgebiet kann durch die odds ratio (OR) ausgedrückt werden, die
folgendermaßen definiert ist: OR = (p1/(1-p1))
/ (p0/(1-p0)). Den
Verlauf der OR im Zeitraum 1985-1998 zeigt Abbildung 14. In den Jahren 1985-88
liegen die OR sehr nahe bei 1, mit Ausnahme des Jahres 1987, in dem die OR etwa
1,09 beträgt. Von 1990 bis 1998 liegen die OR jedoch zwischen 1,2 und 1,3; die
Perinatalsterblichkeit ist in Gomel in den 1990er Jahren also zwischen 20% und
30% gegenüber der Vergleichsregion erhöht. Eine
mögliche Erklärung für den Anstieg der Perinatalsterblichkeit 4 Jahre nach
Tschernobyl wäre, dass es sich dabei um eine Spätwirkung der
Strontiumbelastung von jungen Mädchen handelt, die sich zur Zeit des
Reaktorunglücks im Stadium des größten Längenwachstums der Knochen befanden.
Radioaktives Strontium, das chemisch dem Calcium gleicht, wird in dieser Zeit
bevorzugt in die Knochen eingebaut. Die Dauerbestrahlung des Knochenmarks durch
den Betastrahler Strontium könnte zu einer Schwächung der Immunabwehr führen.
Wenn diese Mädchen einige Jahre später schwanger werden, tragen sie womöglich
ein größeres Risiko, ihr Kind bei der Geburt zu verlieren. Es
wird nun eine gewichtete Regression der Logarithmen der odds ratios durchgeführt
mit dem Modell ln(OR)
= β0 +β1·d87
+β2·sr(t), wobei
Parameter β0
einen möglichen Unterschied in den Basisraten im Studiengebiet und im
Vergleichsgebiet berücksichtigt, β1 den Effekt im Jahr 1987 (Dummy-Variable d87),
und β2 den Einfluss der Strontiumbelastung der werdenden Mütter
schätzt. Der Ausdruck sr(t) ist die berechnete Strontiumbelastung in
schwangeren Frauen. Dabei wird vereinfachend angenommen, dass Strontium nur im
ersten Jahr nach Tschernobyl und nur von solchen Mädchen inkorporiert wurde,
die 1986 gerade 14 Jahre alt waren. In die Berechnung von sr(t) geht einerseits
die Altersverteilung gebärender Frauen ein, andererseits die effektive
Halbwertszeit von Strontium im menschlichen Körper. Für
die Wichtung der odds ratios gilt die einfache Formel var
= 1/n1 + 1/(N1-n1) + 1/n0 + 1/(N0-n0),
wobei n1 and n0 die Zahl der perinatal gestorbenen Neugeborenen im Studiengebiet (1) und im Vergleichsgebiet (0) sind. N1 und N0 sind die entsprechenden Zahlen von Lebend- plus Totgeborenen. Der Parameter β2 wird mit einem zweiseitigen t-Test auf Signifikanz getestet (Nullhypothese H0: β2=0).
Das
Modell ermöglicht einen guten Fit an die Daten. Die Summe der Fehlerquadrate
ist 7,3 (df=11) mit und 29,7 (df=12) ohne den Strontiumterm. Der Strontiumterm
ist hochsignifikant (p=0,0006). Parameter β0
ist 0,022 ± 0.027, d.h. vor Tschernobyl gab es keinen nennenswerten Unterschied
in der Perinatalsterblichkeit zwischen Studien- und Vergleichsgebiet. Der Effekt
im Jahr 1987 ist nicht signifikant (β1=0,055 ± 0,060; p=0,462). Eine Regression mit β0=0 verschlechtert die Anpassung an die Daten nicht: Die
Summe der Fehlerquadrate erhöht sich von 7,3 (df=11) auf 7,7 (df=12). Abb.2: Odds ratios der Perinatalsterblichkeit in Belarus (Punkte) und Verlauf der Strontiumbelastung werdender Mütter (Linie)
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