Ökologische Studien in Deutschland und anderen Ländern
In
Deutschland wurden 2008 die Daten aus der KiKK-Studie zusätzlich auf
Gemeindeebene ausgewertet [3]. Damit war eine gemeinsame Auswertung der
Daten aus den drei Ländern (Deutschland, Großbritannien, Schweiz) möglich.
Sie ergab eine auf dem 1% Niveau signifikante Erhöhung des Leukämierisikos
im 5km-Nahbereich von Kernkraftwerken gegenüber dem Risiko bei
Entfernungen größer als 5 km (RR=1,44; p=0,007) [4]. Kürzlich
wurde eine neue epidemiologische Studie zu akuten Leukämien bei Kindern
im Umkreis der 19 französischen Kernkraftwerke, die sogenannte
Geocop-Studie, veröffentlicht [5]. Sie ergab für den Zeitraum 2002-2007
für Kinder unter 15 Jahren ein odds ratio (relatives Risiko) von 1,9
(95%CI: 1,0-3,2) im Vergleich zu Entfernungen r > 20 km. Für
Kleinkinder unter 5 Jahren waren die Ergebnisse ähnlich. In der
Zusammenfassung der Studie heißt es aber, dass zwischen 1990 und 2001,
aber auch im gesamten Zeitraum 1990-2007, kein erhöhtes Leukämierisiko
festgestellt wurde. Ein Blick auf Tabelle 2 der Arbeit ergibt ein anderes Bild. Danach war im gesamten Zeitraum 1990-2007 die Leukämieinzidenz im 5km-Nahbereich für Kinder unter 15 Jahren leicht erhöht (beobachtete Fälle O=24, erwartete Fälle E=21,0), das standardisierte Inzidenzverhältnis (SIR=O/E) betrug 1,14. Für Kleinkinder ergab sich SIR=1,37 (O=14, E=10,2). Vergleicht man SIR für Entfernungen r<5km mit SIR für r>5km, so errechnet sich ein relatives Leukämierisiko für Kleinkinder von RR=SIR(<5km)/SIR(>5km)=1,37/0,93 = 1,48. Die Erhöhung ist zwar nicht signifikant (p=0,225, Binomialtest), sie ist aber ähnlich groß wie in Deutschland, Großbritannien und der Schweiz. Die Zahlen für O und E aus Deutschland (D), Großbritannien (GB), Schweiz (CH) und Frankreich (F) in den einzelnen Entfernungszonen enthält Tabelle 1. Im 5km-Nahbereich stimmen die SIR aus den vier Datensätzen recht gut überein. Tabelle 1:
Beobachtete (O) und erwartete (E) Anzahl von Leukämiefällen und SIR=O/E
Für
die gemeinsame Auswertung der Datensätze werden die Zahlen der beobachten
(O) und erwarten (E) Leukämiefälle aus den vier Ländern addiert („gepoolt“).
Bei der Schweizer Studie [2] mussten die Werte von E aus anderen
Tabellenangaben errechnet werden. Außerdem enthält [2] neben einer
Tabelle für den Wohnort bei der Geburt eine zweite für den Wohnort bei
Diagnose der Leukämieerkrankung. Weil in allen anderen drei Studien nur
der Wohnort bei Diagnose registriert wurde, wurden für die gepoolte
Analyse die Daten der zweiten Tabelle verwendet. Die Ergebnisse der gepoolten Analyse enthält Tabelle 2. Sie ergibt im 5km-Nahbereich ein SIR von 1,37 (95%CI: 1,09-1,71), p=0,0083. Das relative Risiko (RR), also der Quotient von SIR(0-5km) und SIR(>5km), ist RR=1,44 (p=0,0034). Tabelle 2:
Relatives Leukämierisiko (RR) im Nahbereich von Kernkraftwerken
*
p-Wert, berechnet mit der Poissonverteilung
Zusätzlich
wird der Abstandstrend untersucht. Eine gemeinsame Poisson-Regression der
Daten aus Tabelle 1 mit einer linearen Abhängigkeit vom reziproken
Abstand ergibt einen signifikanten Schätzwert für den Trendparameter (β=1,09;
p=0,012). Ein Regressionsmodell mit einer linear-quadratischen Abhängigkeit
vom reziproken Abstand erlaubt eine bessere Anpassung an die Daten; das
Akaike Informationskriterium (AIC), ein Kriterium für die Anpassungsgüte
unter Berücksichtung der Anzahl der Parameter, ist kleiner (AIC=81,91)
als für das lineare Modell (AIC=83,33). Das kleinste AIC, und damit die
beste Anpassung, erzielt aber ein Modell nur mit einer Dummyvariablen für
den Nahbereich (AIC=80,42). Das relative Risiko im 5km Nahbereich gegenüber
Entfernungen größer als 5 km beträgt 1,44 (p=0,0018). Mit einem
einseitigen Test auf Erhöhung, wie er bei der KiKK-Studie verwendet
wurde, ist das Ergebnis sogar hochsignifikant (p=0.0009). Abbildung 1 zeigt die Werte von SIR für die einzelnen Datensätze und die Regressionslinien mit einem linearen und einem linear-quadratischen Abstandsmodell. In Abbildung 2 sind die Daten aus den einzelnen Entfernungszonen zusammengefasst. Abbildung 1: Leukämierisiko (standardisiertes Inzidenzverhältnis, SIR) von Kleinkindern in der Umgebung von Kernkraftwerken in Deutschland (D), Großbritannien (GB), der Schweiz (CH) und Frankreich (F). Die durchgezogenen Linien sind Ergebnisse von Regressionen mit einem linearen (dünne Linie) und einem linear-quadratischem Abstandsmodell (stärkere Linie). Schlussbemerkung Wie
sich in den Daten der Tabelle 2 zeigt, sind die Erhöhungen des Leukämierisikos
im Nahbereich von Kernkraftwerken in keinem der vier Länder für sich
betrachtet statistisch signifikant. Die gemeinsame Auswertung ergibt aber
ein deutlich signifikant erhöhtes Risiko im 5km-Nahbereich gegenüber
Entfernungen größer als 5 km (RR=1,44, p<0,001). In
der Schlussbemerkung der GEOCAP-Studie erkennen deren Autoren zwar die
Tatsache eines erhöhten Leukämierisikos im Nahbereich französischer
Kernkraftwerke an. Mit radioaktiven Abgaben aus den Kernkraftwerken ließe
sich dieses aber nicht erklären. Sie schreiben: Die vorliegende Studie ist eine solche gemeinsame Analyse. Sie weist nach, dass es im Nahbereich von Kernkraftwerken ein signifikant erhöhtes Leukämierisiko gibt. Quellen 1.
Committee on Medical Aspects of Radiation in the Environment (2011).
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Kaatsch P, Spix C, Jung I, Blettner M. Childhood leukemia in the vicinity
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Körblein A. Die Schweizer CANUPIS-Studie. Strahlentelex (2011)
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Sermage-Faure C, Laurier D, Goujon-Bellec S, Chartier M, Guyot-Goubin A,
Rudant J, Hémon D, Clavel J. Childhood leukemia around French nuclear
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10.1002/ijc.27425. [Epub ahead of print]. |
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