Reanalyse der sogenannten Michaelis-Studie


Die in Deutschland vielbeachtete Studie des Mainzer Instituts für Medizinische Statistik und Dokumentation (IMSD) von 1997 zum Thema Kinderkrebs um Kernkraftwerke (auch "Michaelis-Studie", benannt nach Prof. Michaelis, dem damaligen Institutsleiter) gilt auch international als die umfangreichste diesbezügliche Untersuchung. Sie umfasst 20 Standorte von kerntechnischen Anlagen (KTA) in Deutschland und einen Beobachtungszeitraum von 16 Jahren (1980-1995). Das Risiko für Kinder unter 15 Jahren, in der Umgebung von kerntechnischen Anlagen an Krebs zu erkranken, wurde darin gerade so hoch ermittelt wie in geeignet gewählten Vergleichsregionen (relatives Risiko RR=0,99). Wegen des großen Umfangs der Studie sahen die Autoren der Studie die Frage nach einer möglichen Erhöhung der Krebsrate bei Kindern um Kernkraftwerke als ausreichend geklärt an; weiteren Forschungsbedarf gäbe es nicht.

Bei einer genaueren Durchsicht der Arbeit zeigen sich allerdings Ungereimtheiten. So war die Leukämierate bei Kleinkindern im Nahbereich der KTA in der Vorläuferstudie von 1992 (IMSD-1), die den Zeitraum 1980-1990 umfasste, noch dreimal so hoch wie in den Vergleichsregionen abseits der KTA. Wie ist erklärlich, dass durch die Verlängerung der Untersuchungszeitraums die Erhöhung unauffällig wird? Aus den Daten geht hervor, dass in den Jahren 1991-1995 12 Leukämiefälle hinzugekommen sind, während aufgrund der mittleren Inzidenzrate in Westdeutschland nur 6,3 erwartet worden waren. Im Vergleichsgebiet wurden im gleichen Zeitraum 4 Fälle beobachtet und 6,1 Fälle erwartet. Daraus errechnet sich ein signifikant erhöhtes relatives Risiko von RR=2,9 (p=0,044) für 1991-1995. Dass die Erhöhung im Gesamtzeitraum trotzdem nicht signifikant ist, liegt an zwei methodischen Änderungen in der zweiten Phase der Michaelisstudie (IMSD-2) gegenüber der ersten, die in der Zusammenfassung der Studie nicht erwähnt werden: Erstens wurde die Größe der Vergleichsgebiete geändert, und zweitens der zweiseitige anstatt des einseitigen Tests angewandt. Allein dadurch wird ein nach der bisherigen Vorgehensweise sehr deutlich signifikantes Ergebnis (RR=2,9; p=0,005) zu einem unauffälligen Ergebnis (RR=1,49; p=0,058).

Neben den 15 deutschen Standorten von Leistungsreaktoren zur Stromerzeugung umfassten die IMSD-Berichte auch die Forschungsreaktoren der Kernforschungszentren Karlsruhe und Jülich, den seit 1985 stillgelegten Versuchsreaktor in Kahl und zwei Leistungsreaktoren, die nur kurze Zeit in Betrieb waren: Mülheim-Kärlich mit nur wenigen Monaten Probebetrieb, und den Hochtemperaturreaktor in Hamm mit etwa 400 Volllasttagen. Schließt man nur die 15 Standorte der in Betrieb befindlichen Leistungsreaktoren (KKW) in die Auswertung ein, so errechnet sich bei Kindern unter 15 Jahren im Nahbereich (0-5 km) der KKW eine signifikante Erhöhung der Krebsrate um 22% (p=0,047), um Siedewasserreaktoren sogar um 40% (p=0,021). Bei Kleinkindern unter 5 Jahren sind die Krebsraten im Nahbereich der KKW um 54% erhöht (p=0,0034), um Siedewasserreaktoren um 70%. Die Leukämien sind bei Kleinkindern im Nahbereich mit 76% noch deutlicher erhöht (p=0,012) (2).

Die IMSD-2 Studie enthält auch Daten für die Standorte von kerntechnischen Anlagen in der ehemaligen DDR für 1991-1995. Auch dort errechnet sich im 15 km Umkreis eine signifikante Erhöhung der Krebsrate bei Kindern unter 15 Jahren um 25% (p=0,045).


Quellenangaben

Kaletsch U, Meinert R, Miesner A, Hoisl M, Kaatsch P, Michaelis J. Epidemiologische Studien zum Auftreten von Leukämieerkrankungen in Deutschland. IMSD-Technischer Bericht, Juli 1997

Körblein A, Hoffmann W. Childhood Cancer in the Vicinity of German Nuclear Power Plants. Medicine & Global Survival, August 1999, Vol.6: 18-23  download (PDF 371 kB)